Freitag, 30. September 2011

Web 2.0 im Unterricht

„Wer heute über Internet und Gesellschaft schreibt, läuft Gefahr, schon morgen von neuen Entwicklungen überholt worden zu sein“ (Düx 2000, S.93). Durch die unglaublich hohe Geschwindigkeit der Entwicklungen gestaltet es sich schwierig, diese wissenschaftlich fundiert evaluieren zu können.

Lehrer müssen Lerner sein, um ihren Schülerinnen und Schülern einen effektiven und zeitgemäßen Unterricht zu bieten. In den folgenden Abschnitten dieses Postings sollen unterschiedliche Art und Weisen vorgestellt werden, um die Tools des Web 2.0 in die Schule zu integrieren.

Die Notwendigkeit, sich Computerkenntnisse anzueignen und sich den aktuellen Entwicklungen anzupassen, wird anerkannt, doch eine vollständige Integration in das gesamte Curriculum findet nur selten volle Unterstützung. Nur eine Lehrperson, die selbst Erfahrungen im Umgang mit modernen Medien hat, kann diese an ihre Schülerinnen und Schüler weitergeben. Die Kluft zwischen Befürwortern des Einsatzes moderner Medien im Unterricht und Gegnern kann sich eventuell dadurch verringern, dass man sich intensiver mit den Möglichkeiten der neuen Lehr- und Lernformen, die durch das Web 2.0 geprägt werden, auseinandersetzt.

Durch Initiativen wie diese, ist die Integration von Medien und anderen neuen Technologien in das Bildungssystem immer mehr ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt. Die Integration von Medien ist eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe, für die sich hochrangige Politiker engagieren und die auf viel positive Zustimmung in der Bevölkerung stößt. Eine beachtliche Anzahl von Schulen „(...) haben sich auf den Weg der ‚Datenautobahn’ begeben, ihre Lehrpläne umgestaltet und beim technologiegestützten Lehren und Lernen Fortschritte gemacht“ (Hannafin 2006, S.19).

Leider haben diesen elementaren Wandel bei weitem noch nicht alle Akteure des Bildungssystems begriffen und sind daher nicht bereit, die Vielfalt der neuen Medien in ihre Lehr- und Lernprozesse zu integrieren. Die Initiative „Schulen ans Netz“, 1996 ins Leben gerufen (vgl. Westram 2000, S.9), beschreibt sich selbst als einen innovativen Impulsgeber für den kompetenten Umgang mit unserer medial geprägten Gesellschaft (vgl. http://www.schulen-ans-netz.de/) und hat das ehrgeizige Ziel, die Zusammenarbeit zwischen Schulen und modernen Medien zu verbessern.

Diese Entwicklung ist jedoch im Bereich von Bildung und Erziehung noch nicht fest verankert. Deutsche Schulen bedienen sich bisher zu selten systematisch dieser neuen Werkzeugen – die Einbettung in unser Bildungssystem gestaltet sich als ein zäher und langwieriger Prozess. „Dennoch wird langsam deutlich, dass immer mehr Lehrer, Schulbehörden, Eltern und Schüler begreifen, wie sehr sich Lernprozesse durch die Möglichkeiten des Webs verändern.“ (Richardson 2011, S.9). Der adäquate Einsatz von digitalen Medien im Unterricht ist unverzichtbar. Der bereits etwas abgegriffene Leitsatz, dass Lehrende ihre Lerner dort abholen müssen, wo sie sind, hat auch heute noch seine Berechtigung.

Sicher ist jedoch, dass sich das Internet innerhalb der letzten 20 Jahre in weiten Teilen unseres alltäglichen Lebens etabliert hat und somit die Gewohnheiten der – nicht nur - westlichen Welt erheblich beeinflusst und verändert. „Die Tragweite dieser Veränderungen wird daran deutlich, dass die Bedeutung der Veränderungen durch das Internet in einem Atemzug mit der Erfindung des Buchdrucks genannt wird“ (Shell Deutschland Holding 2010, S.101). Laut der aktuellen Shell Studie haben 96% der Schülerinnen und Schüler in Deutschland einen regelmäßigen Zugriff zum Internet (vgl. Shell Deutschland Holding 2010, S.102). Diese Zahl belegt, dass die junge Generation mit einer zunehmenden Selbstverständlichkeit mit modernen Medien aufwächst (vgl. Nerger 2011, S. 13). Es gilt als unumstritten, dass die modernen Medien und Online-Werkzeuge heutzutage feste Bestandteile ihres Alltags sind.

Tools des Web 2.0
Die Möglichkeiten, das Web 2.0 (ausführliche Erläuterung des Begriffs findet man im D@dalos Online-Lehrbuch zum Web 2.0) in den Schulalltag zu integrieren, könnten kaum vielfältiger sein. Das Web 2.0 will dem Anspruch gerecht werden, etwas Passendes für die unterschiedlichen Altersstufen der Schülerinnen und Schüler, die Ansprüche der einzelnen Fächer und unter anderem auch für die verschiedenen Lehrertypen und Charaktere bereitzuhalten. Im Laufe meiner Recherche haben sich folgende Werkzeuge als besonders gut geeignet herausgestellt: Weblogs, Wikis, RSS, Social Bookmarks, Podcast (Audio/Video-Casting), Twitter und soziale Netzwerkseiten. Da es ansonsten den Rahmen dieses Blogeintrags sprengen würde, gehe ich im Folgenden nur auf einige konkrete Umsetzungsbeispiele für den Unterricht ein.

Weblogs: Weblogs sind heutzutage im Unterrichtsalltag schon weit verbreitet. Sie sind leicht zu erstellen, können problemlos aktualisiert werden, und es kann kontrolliert werden, wer auf den Blog zugreifen kann. Zudem haben Blogs einen interaktiven Charakter und laden dadurch die User zur aktiven Mitarbeit ein. Ein interessantes und bereits etabliertes Beispiel ist das Blog von Maik Riecken.

Unser Kurs an der PH Ludwigsburg, der die Basis für diesen Artikel bildet, ermöglichte uns Kurseilnehmern die Chance, dass wir uns selbst mit der Gestaltung eines Blogs auseinandersetzen. Das Blog ist im Laufe des vergangenen Semesters nach und nach gewachsen und enthält in der Zwischenzeit einige Informationen zu unseren Seminarthemen. Laut eigener Aussage war es für einige meiner Kommilitonen eine neue Erfahrung, mit diesem Tool zu arbeiten.

In der Schule sind unterschiedliche Formen des Blogs vorstellbar. Gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern kann die Lehrkraft zum Beispiel ein Klassenportal einrichten. Diese Plattform kann dazu dienen, Lehr- und Unterrichtspläne zu veröffentlichen, Unterrichtsmaterialien auch online bereitzustellen, um ein hohes Maß von Transparenz für die Eltern zu gewährleisten und um die Kommunikation unter den Kollegen zu erleichtern. Diese Form des Blogs lässt viele Freiheiten zu und kann ganz unterschiedlich genützt und gestaltet werden. So erkennt man bei dem Klassenportal „Pantherblog“ deutlich den individuellen Stil der Beteiligten.

Das Online-Archiv hat einen ähnlichen Charakter wie das Klassenportal. Sein Schwerpunkt liegt jedoch noch mehr auf dem Austausch und der Bereitstellung von Arbeitsmaterialien. Die von den Schülerinnen und Schülern bearbeiteten Aufgaben stehen somit ständig zur Verfügung. Hausaufgaben können im Archiv hochgeladen werden, Arbeitsblätter können ausgetauscht und bearbeitet werden. Lehrer, Eltern, Klassenkameraden, Freunde und Mentoren können auf das Archiv zugreifen und sich einen Überblick über bisher Gelerntes verschaffen.

Blogs leben davon, dass sie aktuell und einfach zu bearbeiten sind. Diese beiden Eigenschaften gelten leider für viele Schulhomepages nicht. Oft sind sie weder aktuell noch übersichtlich. Interessierte Eltern und Schüler finden online in vielen Fällen nur unzureichende Informationen über die einzelnen Schulen. Viele Schulhomepages sind aufwendig und teuer in der Verwaltung. Eine wesentlich unkompliziertere Alternative ist es, eine Schulhomepage (Homepage des Ulricianum Gymnasiums in Aurich) mit Hilfe eines Blogs zu erstellen.

Eine weitere Möglichkeit, moderne Medien in den Schulalltag einzubetten, bieten Wikis. Der Mitbegründer von Wikipedia, Jimmy Wales, beschrieb die Intention von Wikipedia mit den Worten: „Stell dir eine Welt vor, in der jeder Mensch auf der Erde freien Zugang zum gesamten menschlichen Wissen hat. Wir sind dabei, sie zu schaffen.“ Als Wikis bezeichnet man gemeinschaftlich nutzbaren Webspace, in dem Inhalte veröffentlicht und bearbeitet werden können. Für die Verwendung in der Schule gibt es die Möglichkeit, die Wikis durch Passwörter zu schützen, um dadurch den Zugriff auf die Inhalte zu kontrollieren. Einen ersten Eindruck von einem für die Schule geeigneten Wiki kann man auf den Seiten der mathematischen Rundgänge gewinnen.

Bei RSS (Really Simple Syndication) geht es um Feeds, die Internetuser kostenlos abonnieren können. Sie halten Blogleser durch eine Art Nachrichtenticker auf dem Laufenden und bieten eine unkomplizierte Möglichkeit, stets up to date zu bleiben.Für Schülerinnen und Schüler gilt der Podcast wohl als attraktivstes Medium. Podcasts sind aus dem Alltag vieler Internetuser nicht mehr wegzudenken. Sie sind informativ, unterhaltsam, aktuell und in vielen Fällen ist ihr Download kostenlos. Als ein herausragendes Beispiel für eine gelungene Umsetzung in der Schule sehe ich das Lipdup Video des technischen Gymnasiums in Sindelfingen an. Auf diese Produktion wird in einem anderen Posting dieses Blogs schon näher eingegangen.

Die genannten Anwendungen und Möglichkeiten, Web 2.0 Tools in den Unterricht zu integrieren, basieren zu weiten Teilen auf der Lektüre von Will Richardson „Wikis, Blogs und Postcasts. Neue und nützliche Werkzeuge für den Unterricht.“ (Amazon, e-book).

Das Potential des Web 2.0, die Lehr- und Lernprozesse der heutigen Generation nicht nur grundlegend zu prägen, sondern sie auch elementar zu verändern, darf nicht unterschätzt werden. Es liegt in der Hand der Lehrenden, die Schülerinnen und Schüler auf eine Zukunft vorzubereiten, in der vernetzte Lernräume mit Sicherheit eine wichtige Rolle spielen werden.

Literatur:

Düx, Sascha: Internet, Gesellschaft und Pädagogik. Computernetze als Herausforderung für Jugendarbeit und Schule in Theorie und Praxis, Ko-Päd-Verlag, 2000.

Hannafin, Michael J., Hawkins, Charles H.: Computer, Internet, Multimedia – Potential für Schule und Unterricht, Verlag Bertelsmann Stiftung, 2006.

Nerger, Uwe: Mac education. Digitale Medien im Unterricht mit iLife, iWork, iTunes und Apple Technologie. Projektanleitungen für alle, die von den i-Programmen am Mac profitieren wollen, Mandl & Schwarz-Verlag, 2011.

Richardson, Will: Wikis, Blogs und Podcasts. Neue und nützliche Werkzeuge für den Unterricht. TibiaPress, 2011.

Shell Deutschland Holding (Hrsg.): Jugend 2010. Eine pragmatische Generation behauptet sich, Bundeszentrale für politische Bildung, 2010.

Westram, Hiltrud: Internet in der Schule, Leske + Budrich Verlag, 2000.

Montag, 19. September 2011

Politik 2.0 als Mittel gegen Politikverdrossenheit?

In diesem Posting geht es zunächst darum, den Begriff „Politik 2.0“ näher zu bestimmen. Vor allem aber sollen Möglichkeiten und Chancen aufgezeigt werden, die Web 2.0-Tools für Politik und Politiker bieten.

Um das „2.0“ beim Begriff Politik 2.0 zu erklären, ist es wichtig, auf den Begriff Web 2.0 (sehr) kurz einzugehen: „Der Begriff Web 2.0 bezieht sich […] primär auf eine veränderte Nutzung und Wahrnehmung des Internets. Die Benutzer erstellen, bearbeiten und verteilen Inhalte in quantitativ und qualitativ entscheidendem Maße selbst, unterstützt von
interaktiven Anwendungen [somit hat sich die Rolle des Nutzers verändert]. Die Inhalte werden nicht mehr nur zentralisiert von großen Medienunternehmen […] verbreitet, sondern auch von einer Vielzahl von Nutzern, die sich zusätzlich mit Hilfe sozialer Software untereinander vernetzen“ [http://de.wikipedia.org/wiki/Web_2.0#Bedeutung]. Eine ausführlichere Begriffsbestimmung findet sich im Rahmen des D@dalos Online-Lehrbuchs zum Web 2.0 im Abschnitt Was ist das Web 2.0?".

Doch was ist es, was die Übertragung solcher veränderter Nutzung des Internets auf die Politik attraktiv erscheinen lässt? Als Einstieg in diese Frage soll der folgende Abschnitt dienen.

Politikverdrossenheit in Deutschland
In den letzten Jahren ist vermehrt eine politische Verdrossenheit der BürgerInnen zu beobachten. Iris Huth stellt Gründe für diese Verdrossenheit in ihrem Buch „Politische Verdrossenheit – Erscheinungen und Ursachen als Herausforderung für das politische System und die politische Kultur der Bundesrepublik Deutschland im 21. Jahrhundert“ anschaulich dar (Amazon, e-book). Sie führt in diesem Zusammenhang an, dass sich die Politik der (Sach-)Probleme der Bürger nicht angemessen annehme, diese zu spät oder gar nicht löse und der Bürgerin praktisch keine Möglichkeiten zugesprochen werde, mitzubestimmen – wodurch sie sich ohnmächtig und in den politischen Prozess lediglich bei Wahlzeiten involviert sehe (vgl. Huth, 2004, S.242f.).


Ebenso würden Skandale, wie Korruptionsaffären und Amtsmissbräuche, am Ansehen der Politiker kratzen, was folglich das Vertrauen in Politiker und somit auch in die Politik schwinden lasse (ebd., S.245). Nicht selten haben die Menschen den Eindruck, dass die gewählten Politiker ihre Macht missbrauchen, um eigene Interessen durchsetzen zu können. Gleichzeitig sind sie für die Bevölkerung nach einer Wahl nahezu „unerreichbar“, können ihre Entscheidungen nicht mehr beeinflussen und mitbestimmen.

Als Folge dieser Umstände kehrt der Bürger der Politik zunehmend den Rücken zu, hört auf, sich zu interessieren bzw. zu engagieren und wird „sprachlos“. Die Kommunikation zwischen Politikern und Bevölkerung, die für das demokratische Prinzip unerlässlich ist, gerät ins Stocken.

Besonders deutlich wird dieser Umstand bei der Betrachtung der Wahlbeteiligung in den vergangenen Jahren. Diese ist bei den Bundestagswahlen seit 1998 konstant zurückgegangen. Zuletzt verringerte sie sich um knapp 7% bei der Wahl 2009 im Vergleich zum Wahljahr 2002. Auch ein Rückgang der Parteimitglieder ist zu verzeichnen.

Einen genaueren Überblick über die Zahlen und Fakten verschafft der Blog-Eintrag von Katrin Bänisch mit dem Titel „Parteimitglieder in Deutschland: Wie viele es gibt und wie man selber Mitglied wird“, veröffentlich auf germanblogs.

Dies sind besorgniserregende Entwicklungen. Fehlende Transparenz und Partizipationsmöglichkeiten sind oftmals der Grund für die Politikverdrossenheit in Deutschland. Es bildet sich ein Graben zwischen den politischen Akteuren und dem Volk.
Doch bietet das Web 2.0 die Möglichkeit, eine Brücke zu bauen, um die „Kommunikationsflaute“ zwischen Politik und Bevölkerung zu überwinden und den Weg für Politik 2.0 freizumachen?

Möglichkeiten von Politik 2.0
Durch das Web 2.0 können neue Wege der Kommunikation geschaffen werden, indem der Nutzer nicht nur die Rolle des Rezipienten einnimmt, sondern durch Web 2.0-Tools zum Produzenten werden kann. Diese neuen Möglichkeiten können von den Politikern insofern genutzt werden, als den Bürgern neue Chancen ermöglicht werden, mehr an politischen Entscheidungsprozessen mitzuwirken. Demokratien leben von der politischen Beteiligung der Bürger. Mehr noch: Die (politische) Beteiligung bildet die Grundlage einer Demokratie. Politische Partizipation umfasst aber mehr als den Gang zur Wahlurne am Wahltag. Zwar steht den Menschen die Möglichkeit offen, sich aktiv in politischen Parteien, Verbänden oder Gewerkschaften zu engagieren, es muss aber dennoch der Weg frei gemacht werden, ALLE Menschen an den politischen Entscheidungsprozessen in gleichem Maße teilhaben zu lassen.

Wann immer es darum geht, darzulegen, wie das Internet dazu verwendet werden kann, die BürgerInnen zur Teilnahme zu bewegen, gilt der Präsidentschaftswahlkampf von Barack Obama im Jahr 2008 als beeindruckendes Beispiel. Wie kein anderer Politiker vor ihm hat er die amerikanischen Staatsbürger mobilisiert und zur Teilnahme motiviert. Dabei nutzte er die Möglichkeiten des Web 2.0 wie kein anderer. Barack Obama verwendete dazu soziale Netzwerke wie Facebook (so auch das Profil für das kommende Wahljahr 2012), Video-Seiten wie Youtube bis hin zu Podcasts.

Ein paar Zahlen zeigen die Dimensionen der Online-Nutzung auf: Barack Obama hatte zu Wahlkampfzeiten 2008 über 3 Millionen Freunde in Facebook; 2000 Videos wurden von seinem Team im eigenen Youtube-Channel eingestellt, die über 80 Millionen Mal angeklickt wurden; der E-Mail-Verteiler von Obamas Wahlkampfteam umfasste 13 Millionen Adressen, an die über 1 Milliarde personalisierte E-Mails verschickt wurden, um die Menschen direkt anzusprechen. Es wurden so 8 Millionen Unterstützer mobilisiert und 80.000 lokale Wahlkampfevents und Millionen an Spenden aktiviert. Statt auf inszenierten Pressekonferenzen informierte Obama seine Wähler nun über Community-Plattformen wie Facebook, Twitter, Flickr, MySpace etc.

Vom Erfolg dieses Wahlkampfes getragen, initiierte Barack Obama und sein Team im Anschluss die Open Government Directive. Den Bürgern war nun durch den Einsatz des Web 2.0 der Weg geebnet, eigene Vorschläge, Ideen und Ansichten einzubringen, wie die Regierungsarbeit effizienter, transparenter und „partizipatorischer“ gemacht werden kann. Darauf wird im letzten Teil dieses Beitrages noch genauer eingegangen. Auf dem Internationalen UNESCO Bildungsserver für Demokratie-, Friedens- und Menschenrechterziehung finden Sie passend zu diesem Thema interessante Einträge zu Web 2.0 und Politik 2.0.

Eines steht fest: Barack Obama nutzte die Möglichkeiten der Web 2.0-Tools, um die BürgerInnen zu Stellungnahmen und zur Diskussion aufzufordern, wodurch der Politik Anstöße für die weitere politische Arbeit gegeben werden sollten. Nachdem Obama die Open Government Directive verabschiedete, konnten politische Entscheidungs- und Willensbildungsprozesse für die amerikanischen Staatsbürger nachvollziehbarer und letztlich auch transparenter gemacht werden. Jedoch gilt als signifikantester Bestandteil, dass die BürgerInnen ihrer Meinungen auf Online-Plattformen kundtun konnten. Die Ansichten und Anregungen der Bürger waren gefragt.

Ein weiteres Beispiel für Politik 2.0 aus der Obama-Regierung: Die Gesundheitsreform war im Wahlkampf von Obama eines der zentralen Themen, denen er sich annehmen wollte. Bei deren Umsetzung wurden ebenfalls die Ziele Partizipation und Zusammenarbeit verfolgt. Durch modernste Web 2.0-Tools wurden die BürgerInnen der Vereinigten Staaten einerseits über die Fortschritte der Gesundheitsreform auf dem Laufenden gehalten und andererseits wurde ihnen ein „Raum“ geschaffen, die Fortschritte zu kommentieren. Somit wurde auch ein hohes Maß an Transparenz geschaffen, indem die US-Regierung wichtige Informationen bezüglich der Gesundheitsreform bereitstellte und somit nachvollziehbarer machte. Einen weiteren Meilenstein in Sachen Transparenz der US-Regierung finden Sie hier (Abschnitt Beispiel für Transparenz).

Mit Hilfe des Internets und speziell der Web 2.0-Tools kann den Menschen die Möglichkeit gegeben werden, ihre Anregungen, Meinungen und Ansichten zu äußern, beispielsweise durch die Nutzung von Blogs. Gleichzeitig können so diese Anregungen gesammelt und in den politischen Entscheidungsprozess einfließen. Partizipation heißt die Devise.

Nicht weniger wichtig ist die Tatsache, dass Politiker die Probleme und Ängste der Bürger direkt erfahren und berücksichtigen können. Aus einer „Einbahnstraßenkommunikation“ wird eine „Zweibahnstraße“. Die Partizipation an politischen Prozessen wird für die einzelne Bürgerin erleichtert. Die politische Teilhabe wird dadurch enorm erhöht, erforderlich ist lediglich ein Internetanschluss.

Durch die neuen Möglichkeiten des Web 2.0 können Menschen gleichzeitig interaktiv agieren. Kommentieren, zustimmen, ablehnen und konkretisieren ist durch die neue Technik um ein Vielfaches erleichtert worden. Politiker bekommen zudem die Chance, sich direkt bei der Bevölkerung zu „informieren“, wodurch neue Denkanstöße für die politische Arbeit an sie herangetragen werden können. Mit Hilfe eines gezielten Einsatzes der Web 2.0-Tools für die Politik können – und das ist für eine Demokratie sehr wertvoll – durch eine bessere Kommunikation der Beteiligten, den Politikern und dem Volk neue Möglichkeiten geschaffen werden, Probleme dezentraler zu lösen, nämlich durch die aktive Beteiligung und Mitarbeit der Menschen innerhalb eines Staates.

Die Voraussetzung dieser neuen Form des „Politikmachens“, nämlich die technischen Voraussetzungen, sind vorhanden. Nun kommt es auf den Willen der Politiker an, das Web 2.0 zu nutzen, um die Menschen in ihre politische Arbeit mit einzubeziehen, aktiv mitwirken und mitbestimmen zu lassen.

Politik 2.0 in Stuttgart
Auch die Stadt Stuttgart, Landeshauptstadt von Baden-Württemberg, entschied sich dazu, die Einwohner aktiv am Prozess der politischen Entscheidungsfindung teilhaben zu lassen. Zu diesem Zweck wurde die Initiative Bürgerhaushalt gestartet.
Worum geht es hierbei?

Es lassen sich durchaus Parallelen zu der Open Government Directive von Barack Obama finden. Es begann – wie auch in den USA, durch den „Open Government Dialogue“ – mit einer Online-Brainstorming-Phase. Diese reichte vom 01.07.2011 bis zum 22.07.2011. Dazu wurde eine Website eingerichtet, auf der die Bürger der Stadt Stuttgart Ideen, Hinweise und Vorschläge zu den Einnahmen und Ausgaben der Stadt abgeben konnten. Den Menschen wurde die Möglichkeit geboten, eigene Vorschläge zur Einnahmen- und Ausgabenverwendung einzubringen (Beispiel aus dem Bereich Energie).

Ein Video zur Aufklärung, wie die Stadt Stuttgart ihren Haushaltsplan aufstellt, wurde ebenfalls auf dieser Website veröffentlicht. Zudem wurde das Video von der Stadt Stuttgart auch auf Youtube eingestellt. Sicherlich sollte damit auf den „Bürgerhaushalt“ auch in anderer Form aufmerksam gemacht werden als „nur“ über Flyer und Prospekte.

In den USA startete als zweite Etappe der „Office of Science and Technology Policy Blog“. Das Ziel war, die bestehenden Vorschläge zu präzisieren. Dazu konnten Kommentare sowie Bewertungen der vorhandenen Vorschläge aus der Bevölkerung abgegeben werden.

Beim Bürgerhaushalt in Stuttgart kamen dabei, wie auch in den USA, Web 2.0-Tools zum Einsatz, um es den Teilnehmern zu erleichtern, eigene Kommentare und Bewertungen abzugeben. Ein Beispiel finden Sie hier. Bewertungen konnten noch weitere 7 Tage abgegeben werden, bis zum 29.07.2011. Die positiven bzw. negativen Bewertungen sind ausschlaggebend: Es wird eine Top-100 mit den besten Bewertungen erstellt. Die am besten bewerteten Vorschläge werden auf ihre Durchführbarkeit und daraufhin überprüft, ob die Stadt Stuttgart überhaupt dafür zuständig ist. Letztlich entscheidet dann der Gemeinderat, welche der Vorschläge umgesetzt werden. Die Bürgerin wird schließlich online darüber informiert werden, welche Vorschläge zu den Top-100 gehören, wie die Verwaltung die einzelnen Vorschläge fachlich bewertet und wie sich der Gemeinderat bezüglich der Umsetzung entschieden hat.

Mit den neuen Web 2.0-Tools kann es für die BürgerInnen vereinfacht werden, ihre Partizipationsmöglichkeiten zu nutzen. Jeder (Bürger Stuttgarts) kann seine Vorschläge, seine Anliegen, seine Ansichten in den politischen Entscheidungsprozess einbringen. Ein veränderter Kommunikationsprozess entsteht, in dem die Bürger nicht nur zu Wahlzeiten eine Stimme haben. Dieser Stimme kann nun online Gehör verschafft werden. Es liegt nun an der zuständigen Verwaltung, diese Vorschläge ernst zu nehmen und in den politischen Entscheidungsprozessen zu berücksichtigen.

Natürlich lassen sich die Größenverhältnisse der „Partizipationskampagnen“ der USA und der Stadt Stuttgart nicht vergleichen. Dennoch ist erkannt worden, dass der Drang der Menschen nach mehr Mitspracherecht von der Politik nicht abgetan werden kann. Durch die Möglichkeiten des Web 2.0 kann diesem Drang Rechnung getragen werden.

Die Möglichkeiten des Web 2.0 können der Politikverdrossenheit entgegenwirken: Soziale Software bietet der Politik die Chance, ein neues Kommunikationswerkzeug zu nutzen, um mit den BürgerInnen in einen direkten Dialog zu treten. Den Menschen kann somit vermittelt werden, dass ihre Probleme ernst genommen und ihre Lösungsvorschläge in den politischen Entscheidungsprozessen berücksichtigt werden. Die Partizipationsmöglichkeiten ebnen nun gleichzeitig den Weg, die politische Willensbildung in einer Demokratie grundlegend zu ändern.


Michael Seckinger

Literatur
Huth, Iris: Politische Verdrossenheit. Erscheinungsformen und Ursachen als Herausforderung für das politische System und die politische Kultur der Bundesrepublik Deutschland im 21. Jahrhundert. Lit Verlag: Münster, 2004.