Montag, 20. Februar 2012

Wikipedia Teil IV: Erfolgsfaktoren und Wikipedianer

Im Rahmen eines Projekts beschäftigen wir uns seit einigen Wochen intensiver mit der Online-Enzyklopädie Wikipedia. Noch immer lehnen viele Lehrende an Schulen und Hochschulen Wikipedia ab - ein Umstand, der wohl nur mit mangelndem Verständnis hinsichtlich der Enzyklopädie (sowie des Web 2.0 im allgemeinen) erklärt werden kann. Wir haben uns deshalb entschlossen, in einer Reihe von Postings Wikipedia und dessen Nutzung zu erläutern. Alle Postings zusammen werden dann als neues Unterkapitel im Abschnitt Lernen 2.0 des Online-Lehrbuchs zum Web 2.0 veröffentlicht.

Bisher erschienen:
Wikipedia Teil I: Wie ist Wikipedia entstanden?
Wikipedia Teil II: Grundprinzipien der Wikipedia
Wikipedia Teil III: Weitere Regeln in der Welt der "freien Enzyklopädie"

Erfolgsfaktoren und Wikipedianer

(Autorin: Katharina Kuen)

Wikipedia ist nach wie vor umstritten. Die Befürworter sind begeistert ob des einfachen und schnellen Zugangs zu Informationen, die darüber hinaus auch noch kostenlos sind. Dagegen kritisieren Gegner den zweifelhaften Wahrheitsgehalt der Inhalte. Seit ihrem Bestehen hat sich die Wikipedia kontinuierlich weiterentwickelt. So ist beispielsweise der Anspruch an die Qualität der Artikel gewachsen, entsprechend wurde das Regelwerk etwa durch das Instrument der Sichtung erweitert, um u.a. Vandalismus zu verhindern (vgl. Benutzer:Singsangsung / van Dijk, Wikimedia 2011, S.48).

Die Wikipedia hat in den letzten Jahren einen hohen Stellenwert erreicht, ist bekannt und den meisten Internetnutzern vertraut (vgl. Schuler 2007, S.23). Die Zahlen sind unglaublich: Die Online-Enzyklopädie beinhaltet derzeit (Stand 18.12.2011) insgesamt 20.619.827 Artikel in rund 270 unterschiedlichen Sprachversionen. Die deutschsprachige Wikipedia allein umfasst über 1,3 Millionen Artikel und liegt somit auf Platz zwei, hinter der englischen Version (vgl. Wikipedia: Sprachenliste). Täglich wird die Wikipedia weltweit um etwa 8000 Artikel ergänzt und erreicht 5000 Klicks pro Sekunde (vgl. Moleski/Richter, Wikimedia 2011, S.11). Als non-profit Website hat sie es auf Platz 6 der weltweit und deutschlandweit meistbesuchten Seiten geschafft.

Gründe für den Erfolg

Die Wikipedia ist durch die freiwillige Zusammenarbeit von tausenden beteiligten Autoren entstanden: “Sie machten aus Wikipedia das, was sie heute [...] ist: die größte Wissenssammlung der Menschheit. Wikipedia hat die uralte Tradition des Austausches von Wissen und damit die Basis für die Entwicklung der Menschheit in das neue, digitale Zeitalter überführt” (Wales, Wikimedia 2011, S.9). Dieser Aspekt ist ausschlaggebend dafür, dass die Wikipedia so erfolgreich ist. Die Autoren stellen ihr Wissen und ihre Zeit frei zur Verfügung. Ihr ehrenamtliches Engagement ist ein Präsent an die gesamte Menschheit (vgl. Moleski/ Richter, Wikimedia 2011, S.11).

Die Artikel der Wikipedia werden kollaborativ von mehreren Autoren zusammen geschrieben. Jede/r kann mitschreiben und seinen eigenen - großen oder kleinen - Beitrag leisten. Alle Beteiligten zusammen bilden die Autorenschaft. Das ist ein fortlaufender und offener Prozess, der durch alle Autoren gestaltet wird: Inhalte werden hinzugefügt, Layout, Gliederung oder Rechtschreibung verbessert sowie die Fakten überprüft (vgl. Stöcklin 2010, S.47f).

Zusätzlich ermöglicht es Wikipedia, andere Autoren zu kontaktieren, sich auszutauschen, zu diskutieren und Fragen zu klären. Vor diesem Hintergrund können konstruktive Beiträge entstehen (vgl. Cüppers, Wikimedia 2011, S.131). Die “Weisheit der Vielen”, das “soziale Wissen” spielt eine zentrale Rolle für den Erfolg der Online-Enzyklopädie.

Es gibt noch weitere Gründe für den Erfolg von Wikipedia. Neben Zahl und Umfang der Artikel unterscheidet sich Wikipedia von anderen Enzyklopädien im Hinblick auf die Aktualität (vgl. Stöcklin 2010, S.44). Neuere Entwicklungen können rasch eingearbeitet werden. Zu bedeutsamen Ereignissen werden meist tagesaktuell neue Artkiel hinzugefügt oder alte verbessert (vgl. Stöcklin 2010, S.44f/47).

Die einfache Veränderbarkeit ist auch bedeutsam hinsichtlich von Fehlern. Auch sie lassen sich einfach und rasch korrigieren. Diesbezüglich können Print-Enzyklopädien nicht mithalten (vgl. Weinberger 2007, S.170).

Einen weiteren Erfolgsfaktor bilden die zahlreichen Hyperlinks, die jede/r hinzufügen kann (vgl. Weinberger 2007, S.119). Die Links verweisen auf andere Artikel innerhalb der Wikipedia oder auf externe Webseiten. Dementsprechend bildet sich ein Wissensnetz, das sich immer mehr ausweiten kann (vgl. Schuler 2007, S.80).

Als zentralen Erfolgsfaktor stellt Shirky die Rolle der Community - der Wikipedianer - heraus: “Wikipedia, and all wikis, grow if enough people care about them, and they die if they don’t” (Shirky 2008, S.136). Der Erfolg ist demnach immer prekär. Wikipedia hat, so Shirky, nur solange Bestand (und Erfolg), wie die Wikipedianer “ihr” Projekt verteidigen können. Dass dies bislang gelungen ist, heißt nicht, dass es auch in Zukunft gelingen wird, ist aber (schon jetzt) eine beeindruckende Erfolgsgeschichte.

Wer sind die Wikipedianer?

Als Wikipedianer bezeichnet man freiwillige, aktive Mitarbeiter, die sich häufig mit einem Nickname registrieren oder unangemeldet als “IP-ler” mitarbeiten und mindestens zehn Bearbeitungen ausgeführt haben.

[Hintergrund: IP ist die Abkürzung für Internet Protocol. IP-ler agieren anonym in der Wikipedia und besitzen keinen Account. Die IP-Adresse ist eine Ziffernfolge, die bei allen Bearbeitungen anstatt eines Benutzernamens in der Artikelhistory automatisch hinterlegt wird. Mittels der IP-Adresse können Benutzer - zum Beispiel bei Vandalismus - ermittelt werden (vgl. Schuler 2007, S.241/248)]

Wikipedianer schreiben Beiträge, korrigieren Rechtschreibfehler, überprüfen andere Artikel und beobachten, ob ihre eigenen Beiträge bearbeitet wurden. Sie zählen zu der Autorenschaft und sind Teil der Wikipedia-Community. Hierbei ist die Freiwilligkeit von zentraler Bedeutung. Jeder Autor entscheidet selbst, ob, wann und auf welche Weise ein Beitrag geleistet werden soll (vgl. Stöcklin 2010, S.49).

Die Wikipedianer können je nach Aktivität und Bereitschaft neue Aufgabenbereiche erhalten und einen höheren Status erlangen. Neben den IP-lern und den angemeldeten Benutzern existieren noch weitere Autoren, denen zentrale Aufgaben in der Community zugewiesen sind. Darunter befinden sich Administratoren, Bürokraten, Stewards, Bots, CheckUser, Benutzer mit Oversight-Status und Entwickler sowie Sichter und Prüfer (bei Wikipedia:Statistik können die einzelnen Aufgabenbereiche dieser Benutzer nachgelesen werden).

Die Administratoren bilden die wichtigste Gruppe, wenn es um die Organisation der Online-Enzyklopädie geht. Sie sind u.a. befugt, Seiten zu löschen oder Benutzer zu sperren (vgl. Wikipedia:Administratoren). Angemeldete Wikipedianer können von der Community als Administrator vorgeschlagen und gewählt werden. Ihre Rolle ist an Bedingungen geknüpft und sie können bei Machtmissbrauch oder Fehlverhalten wieder abgewählt werden (vgl. Schuler 2007, S.141).

Es gibt verschiedene Studien über die Wikipedianer. Die Ergebnisse einer Umfrage über “Wikipedianer nach Wissensgebiet” zeigt die Themen- und Spezialgebiete einiger aktiven Nutzer auf. Eine Online-Befragung des Psychologischen Institut der Universität Würzburg zum Thema “Motivation von TeilnehmerInnen an Wikipedia” liefert interessante Ergebnisse über die freiwilligen Mitarbeiter der deutschsprachigen Wikipedia.

Laut der Umfrage sind 88% der Wikipedianer männlich und 10% weiblich. Das Durchschnittsalter beträgt 33 Jahre. Die Mehrheit der Befragten arbeitet Vollzeit (42,5%), gefolgt von Studenten (25,5%) und Teilzeitarbeitenden (10,4%). Auffällig ist, dass über 50% der Wikipedianer Single sind und dass die durchschnittliche Beschäftigung für Wikipedia während der Freizeit zwei Stunden pro Tag beträgt. Hierbei sind u.a. Offline-Recherchen inbegriffen (vgl. Schroer 2005, Online-Befragung). Weitere Ergebnisse und zusätzliche Informationen können hier eingesehen werden.

Jimmy Wales hat eine Studie durchgeführt, um zu untersuchen, wer die meisten Bearbeitungen für die Wikipedia ausführt. Er hatte mit dem Ergebnis gerechnet, dass 20% der Autoren etwa 80% der Beiträge leisten. Jedoch zeigen die Ergebnisse, dass 0.7% der Freiwilligen etwa 50% der Arbeit übernehmen. Folglich sind die aktivsten 2% an 73,4% der Bearbeitungen beteiligt. Im Hinblick auf diese Ergebnisse führte Aaron Swartz eigene Untersuchungen durch. Er wollte herausfinden, wer die substanziellen Beiträge leistet. Er zählte die Anzahl der Buchstaben, die verschiedene Autoren hinzufügten.

Das Ergebnis zeigt auf, dass die meisten Bearbeitungen von aktiven, angemeldeten Benutzer kommen, diese aber meist nur Formatierungs- oder Formulierungsänderungen durchführen. Die eigentlichen Inhalte werden fast ausschließlich von nicht aktiven IP-lern hinzugefügt (vgl. Aaron Swartz 2006). Demzufolge korrigieren die angemeldeten Benutzer Schönheitsfehler und passen die Artikel dem Wikipedia-Stil an, die substantiellen Beiträge - wie das Hinzufügen eines Artikels oder Textabschnitts - werden von IP-lern durchgeführt.

Fortsetzung: Wikipedia Teil V: Motivation der AutorInnen

Literatur

Clay Shirky (2008), Here Comes Everybody. The Power of Organizing Without Organizations, Penguin, S. 109-142: “Personal Motivation Meets Collaborative Production”.

David Weinberger (2008), Das Ende der Schublade. Die Macht der neuen digitalen Unordnung, Hanser, S. 160-176: „Anonyme Verfasser“.

Stefan Münker (2009), Emergenz digitaler Öffentlichkeiten. Die Sozialen Medien im Web 2.0, Suhrkamp, S. 95-102: „Kollektives Wissen und der Erfolg von Wikipedia“.

Don Tapscott/Anthony D. Williams (2007), Wikinomics. Die Revolution im Netz, Hanser, S. 71-76: „Die Enzyklopädie, an der jeder mitschreiben kann“.

Will Richardson (2011), Wikis, Blogs und Podcasts. Neue und nützliche Werzeuge für den Unterricht, Tibia Press, S. 95-116: „Wikis. Gemeinschaftsarbeit leicht gemacht“.

Anja Ebersbach/Markus Glaser/Richard Heigl (20112), Social Web, UVK, S. 39-60: „Wikis“.

Daniela Pscheida (2010), Das Wikipedia-Universum. Wie das Internet unsere Wissenskultur verändert, Transcript Verlag.

Ziko Van Dijk (2010), Wikipedia. Wie Sie zur freien Enzyklopädie beitragen, Open Source Press.

Günter Schuler (2007), Wikipedia inside. Die Online-Enzyklopädie und ihre Community, UNRAST Verlag.

Nando Stöcklin (2010), Wikipedia clever nutzen - in Schule und Beruf, Orell Füssli Verlag AG.

Wikimedia Deutschland e.V. (2011), Alles über Wikipedia. Und die Menschen hinter der größten Enzyklopädie der Welt, Hoffmann und Campe Verlag.

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